Hauptsache modern
Es winken die verbogenen Glieder,
Fratzen schreien dir entgegen.
Wehe, es wirkt steif und bieder,
es muss wild sein und verwegen.
Sind es Pflanzen, Menschen, Tiere?
Für manch einen bleibt's Geschmiere.
Die Landschaft schwimmt, die Bäume krumm,
ein Boot zerfließt im weiten Meer.
Ein Kenner fragt nach dem „Warum“,
ganz egal bleibt da das „Wer“.
Fehlt auch von Schönheit jede Spur,
so nennt man's Kunst, man nennt's Kultur.
***
Die Dankbarkeit
So ist es wohl die Dankbarkeit,
die einen von der Last befreit,
ein undankbarer Mensch zu sein,
unbedeutend, schwach und klein.
Sie ist versteckt im Augenblick,
der gewählt, mit viel Geschick,
der ohne Wort auch gut gedeiht,
bis sie kommt, die rechte Zeit.
In einem Lächeln kann sie stecken,
sich mit manchen Gesten recken.
Wer sie zeigt, kann sicher sein:
Das Gewissen bleibt ihm rein.
***
Dein Atem
Wie weit trägt mich dein Atem,
der die Wolken schiebt?
Will nicht länger warten,
auf das, was mich umgibt.
Will nicht länger stehen,
da alles sich bewegt.
Rund im Kreis sich drehen,
das wünsch' ich unentwegt.
Nicht krank am Boden liegen,
beraubt der Seligkeit.
Nein, wie ein Engel fliegen,
zum heilig sein bereit.
Nicht länger unten schwimmen,
wenn höchste Wellen brechen.
Sich lieber neu besinnen
und mit den Sternen sprechen.
Wie weit trägt mich dein Atem,
wird er mich je erreichen?
Ich kann nicht länger warten,
bin gleich unter den Gleichen.
***
Der Marsch
Keine Frage wird gefragt,
alles ist bereits gesagt.
Vorwärts geht es immerzu.
Schritt für Schritt für Schritt für Schritt.
Keine Lasten sind zu schwer,
Friede wird erstickt im Heer.
Heimwärts geht es in der Truh'.
Stück für Stück für Stück für Stück.
Leben geht im Dauerfeuer,
denn kein Leben scheint mehr teuer.
Reden halten Wiederkäuer.
Wort an Wort an Wort an Wort.
Ist die Rede erst gehalten,
geht es über dann zum Alten.
Leichen kann man gut verwalten.
Zahl an Zahl an Zahl an Zahl.
***
Gedanken der Blütenblätter
Auch wenn die Blume welkt, verblüht,
sind Blütenblätter noch bemüht,
des Lebens Rest in sich zu halten,
auch wenn sie sich nie mehr entfalten.
***
Die Stellenausschreibung
Wir suchen SIE!
So, wie noch nie!
Bewerben Sie sich heute,
wir brauchen gute Leute.
Sie verdienen bei uns viel,
Zufriedenheit ist unser Ziel.
Ein ganz famoser Job,
die Aufstiegschancen top,
Arbeitszeit ist gleitend,
die Schulung wegbereitend,
Urlaub, wie sonst nirgendwo
und … ein Arbeitnehmerklo!
Sie müssen nur flexibel sein,
Sie haben einen Führerschein
und auch einen eigenen Wagen,
arbeiten an Feiertagen,
an Wochenenden, in der Nacht,
eine Lehre ist gemacht,
ein Diplom mit guten Noten,
Doppel-Dr. ist geboten,
können fließend englisch reden,
auch französisch wird erbeten,
hebräisch, griechisch und Latein,
japanisch sollt' es auch noch sein.
Sie sind auch sehr berufserfahren,
kamen zur Welt vor zwanzig Jahren?
Ist dies vorhanden, ist's geschafft.
Werden Sie bei uns Reinigungskraft.
***
Das kleine Schwein
Zum Schlachter kam ein kleines Schwein,
das wollt' so gern geschlachtet sein.
Doch der Schlachter sagte: „Nein!
Das seh' ich doch gar nicht ein.“
„Gute Würste würd' ich geben,
außerdem stört mich das Leben.
Nach Höherem kann ich nicht streben.
Bin nur ein Schwein, das nervt mich eben.“
Der Schlachter nahm das Schlachterbeil,
zerlegte Schweinchen, Teil für Teil.
Ihn plagte eh die Langeweil'.
Dann bot er all die Stücke feil.
Wer da aß vom kleinen Schwein,
wollt' auch gern geschlachtet sein.
Dem saß die Trauer im Gebein,
der fühlte sich entsetzlich klein.
Bald hingen an den großen Eichen
viele Schweinchenesserleichen.
Die Tölpel sahen es als Zeichen,
so sollten nun die Eichen weichen.
Schlachter wurden rasch verbrannt,
denn es führte sie des Teufels Hand.
Wer an Wurst Geschmack noch fand,
der floh beherzt gleich aus dem Land.
Bald schon wurd' aus Größenwahn
ein geheimer Sonderplan.
Der warf die Erde aus der Bahn,
zur Sonne hin, mit Affenzahn.
Und die Moral von der Geschicht':
Depri-Schweinchen isst man nicht.
Man schminkt am besten ihr Gesicht
und schiebt sie raus ins Rampenlicht.
***
Suchaktion
Gesucht wird: das soziale Gewissen.
Den Volksvertretern wurd's entrissen.
Sie pflegen nun ein Wechselbalg,
das sie selbst ins Nest gelegt.
Man meint, es rieselt schon der Kalk,
da sich im Kopf ja sonst nichts regt.
Wo ist es hin? Wer hat es sich genommen?
Dem Volk ist es abhanden gekommen.
Wenn goldene Pfeifen klangvoll schrillen,
wird der Pfiff gleich nachgeahmt.
Lieber das eigene Denken killen
und nutzen, was schon eingerahmt.
Es fragt sich, wie lang es wohl verschollen bleibt.
Vielleicht bis der letzte Arbeitslose entleibt?
Dann kann man wieder Soziales erleben,
es gehört ja doch zum guten Ton.
Dann kann man wieder nach Idealen streben
und sind sie auch der blanke Hohn.
***
Seiltänzer
Am Himmel, dichte Wolkendecke,
der Grund, ein Meer aus Scherben.
Von Fels zu Fels spannt sich ein Seil,
wer stürzt, muss unten sterben.
Tanze, springe und jongliere
mit Bällen, die aus reinem Feuer.
Dornen regnen auf dein Haupt,
es fauchen kranke Ungeheuer.
Halte nur dein Gleichgewicht,
sonst droht der Fall nach Eden.
In der Mitte hängst du durch,
doch hältst beschwingte Reden.
Warte auf den Sonnenschein,
der aus der Tiefe dich erreicht.
Über dir ein Wellengang,
der dem im Meere gleicht.
Bist heilig im zerstörten Tempel,
so tanze, tanze frohgemut.
Wenn dir doch nur Flügel wüchsen,
die dich schützten vor der Flut.
Breite deine Arme aus,
die Augen schließe fest.
Vertraue keiner Illusion,
das Sein besorgt den Rest.
***
Ein Teufel mit Schleife
Der schrecklich heiße Sommertag
treibt mich hin zur Stadt.
Hitze, die ich gar nicht mag,
macht mich müd' und matt.
Ich schlendere durch Gassen,
die mir Schatten spenden.
Fernab von den Massen,
die sich beim braten wenden.
Den kleinen Hund mit Schleife
seh' ich jetzt gerade.
Bevor ich es begreife,
schnappt er sich meine Wade.
„Au!“, schrei' ich vor Qual.
„Lass los! Lass mich in Ruh'!“
Dem Hund ist das egal,
er beißt gleich fester zu.
Endlich lässt er ab,
ich möchte nur rasch fort.
Ein kurzer Sprung und „Schnapp!“,
er hält mich hier am Ort.
Ich fass' es nicht und röchel',
spitze Zähne dringen
in meinen bloßen Knöchel.
Er wird mich wohl verschlingen.
Mein lauter Hilfeschrei
wird leider nicht gehört.
Niemand kommt herbei,
der Hund beißt ungestört.
Er hängt mir noch am Bein
als endlich jemand naht.
Die Frau schimpft los: „Sie Schwein!“
und kommt dann erst in Fahrt:
„Was haben Sie getan?
Das Schleifchen ist gerissen!“
„Ja, sind Sie denn im Wahn?
Ihr Hund hat mich gebissen!“
Sie schaut auf meine Wunden
und lacht aus ganzem Herzen.
Ich steh' nur da, geschunden,
keuche, ob der Schmerzen.
„Mein Schatz ist doch so niedlich,
der kann doch nicht fest beißen.
Zudem ist er ganz friedlich.
Das werd' ich jetzt beweisen!“
Sie geht zur Tür hinein,
lässt ihn wieder frei.
Entsetzt schrei' ich noch: „Nein!“,
doch das ist einerlei.
All den spitzen Zähnen
kann ich nicht entweichen.
Ich muss wohl nicht erwähnen,
dass dies mich lässt erbleichen.
Nach einer halben Stunde
ertönt der Frau Gepfeife.
Ich bin befreit vom Hunde,
vom Teufel mit der Schleife.
***
Wie soll es werden?
Des Bürgers Meinung?
Ist nicht wichtig!
Der Bundesrat?
Null und nichtig!
Demokratisch?
Mit uns nicht!
Sozial? Gerecht?
Ach, was! Verzicht!
So gibt man sich im Bundesstaat.
Wenn sich Macht, mit Geld gepaart,
gegen jeden Wähler richtet,
wird Freiheit generell vernichtet.
Zu kaufen mag es die noch geben.
Wer's nicht kann, den straft das Leben,
den packt man rasch in eine Rolle.
Die muss er spielen. Staatskontrolle!
Man kann nur nicken und nur kriechen
oder auch im Tümpel siechen.
Man kann vielleicht die Flucht ergreifen,
ziellos durch die Lande streifen.
Wer sich dann in Demut kleidet,
wird ganz sicher nicht beneidet
von denen, dich gern Freiheit schmecken,
von denen, die sich nicht verstecken.
Des Bürgers Meinung?
Hört doch hin!
Der Bundesrat?
Hat seinen Sinn!
Demokratisch?
Jetzt wird’s Zeit!
Sozial? Gerecht?
Schafft Einigkeit!
***
Von Zeit zu Zeit
Von Zeit zu Zeit stellt man die Frage:
„Wo geh' ich hin? Wo möcht' ich sein?“
Ein jeder brav sein Kreuze trage
in diese kalte Welt hinein.
Vorbei an jedem garst'gen Spötter,
ist dann der Gang auch noch so schwer.
Bedenke: Sie sind keine Götter,
es ist nur deren Herz so leer.
Wohin du gehst, bleibt deine Wahl,
auch wenn dich viele Bahnen führen.
Den Wesenskern als heil'gen Gral,
sollst du in deiner Seele spüren.
***
Ja, wir glauben das
Die Regierung zeigt Geschlossenheit.
Liegt sie auch im Clinch und Streit,
heißt das nicht, sie sei bereit,
das zu tun, was uns befreit.
Ein Machtwort, zwischendurch gesprochen,
soll die Zänker unterjochen,
doch die kämpfen um die Knochen,
die abgenagt und längst zerbrochen.
Mimt ein Streiter mal den Punk,
nimmt er seinen Hut zum Dank,
schleicht zur allerletzten Bank
und meint: „Die Posse macht mich krank.“
Unermüdlich wird bewiesen,
wie allerorten Blümlein sprießen,
selbst wenn auf den kargen Wiesen
nur mehr Jauchebäche fließen.
Regierungsfähig ist man immer,
wird es auch im Lande schlimmer,
so gibt es doch den Hoffnungsschimmer,
der nur glimmt im Wartezimmer.
Die Qualität der großen Lügen
muss man heutzutage rügen.
Früher war es ein Betrügen,
mehr versteckt in vollen Krügen.
Doch nehmen wir euch nicht den Spaß
und sagen: „Ja, wir glauben das.“
Fröhlich beißen wir ins Gras,
überlassen euch der Farce.
***
Tolle Zeiten
Im Kanzleramt wird heut gedöst,
Zufriedenheit und Zuversicht.
Man hat Probleme rasch gelöst
und neue kommen nicht in Sicht.
Die Lösung war so kinderleicht,
einfacher als Kaffee kochen.
Wenn Brot nicht mehr für alle reicht,
verteilt man eben Hühnerknochen.
Ein ausgedünnter Mittelstand
wird als nobles Ziel betrachtet.
Und fährt die Wirtschaft an die Wand,
so ist es nichts, worauf man achtet.
Der Arbeitsmarkt ist am gesunden,
man hat sich lang genug brüskiert,
bis eine Lösung ward gefunden:
Die Armen wurden ausradiert.
Die Presse wird nicht Ernst genommen,
Proteste schon im Keim erstickt.
Und wird nicht mit dem Strom geschwommen,
dann wird man mit Beton bestückt.
Heissa, das sind tolle Zeiten,
die sich da dem Auge bieten.
Im Sumpf der Überheblichkeiten
regieren nun die größten Nieten.
***
Zukunft? Unvernunft!