Sven Späters Wortgrotte
 
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Blauer Dunst (Horror)
Mein Name ist Zimmer. Gregor Zimmer – und ich bin Raucher.

Das hört sich grauenvoll an, nicht wahr? Ich gehöre zu diesen unzähligen Geistesgestörten, die sich aus reinem Übermut das Leben zur Hölle machen. Alles nur, weil wir irgendwann einmal glaubten, uns unbedingt eine Zigarette zwischen die Zähne schieben zu müssen. Manche tun es in frühester Jugend, weil sie sich damit cool oder auch von anderen akzeptiert fühlen. Andere folgen schlicht dem Vorbild der Klassenkameraden, die es vormachen. Nicht selten möchte man mit einer Zigarette erwachsen wirken.

Über spätere Konsequenzen wird da nicht lange nachgedacht. Selbst wenn manche von uns ihren ersten Glimmstängel nicht hatten vertragen können, wenn einem schlecht davon geworden war und man höllische Kopfschmerzen bekommen hatte, fehlte es an Einsicht.

Es wird solange versucht, bis sich der Körper an die Giftstoffe gewöhnt. Schließlich ist die Sucht geboren und wir folgen dem Ruf des Tabaks, der Stimme unseren falschen Gottes.

Wohl dem, der aus eigener Kraft den Drang, die Lungen mit allerlei Schadstoffen zu füllen, bekämpfen kann. Eine Sache des Willens, so heißt es. Doch die körperliche Abhängigkeit darf nicht unterschätzt werden. Zumal zu der Zeit, von der ich hier berichten möchte, bereits Tabaksorten den Markt überschwemmt hatten, die für eingefleischte Raucher lebensnotwendig geworden waren. So hatten sich die Konzerne der Tabakindustrie ihre Machtposition weitestgehend gesichert, wenn ...

Tja, wenn die Regierungen der westlichen Industriestaaten keinen Riegel vorgeschoben hätten.

Angefangen hatte es mit einem Werbeverbot, das beständig verstärkt wurde. Natürlich half das nicht wirklich, aber es ließ bereits eine Richtung erkennen, die uns Rauchern nicht gefallen würde. Man wollte uns an den Kragen, uns das süße Gift stehlen.

Tabak wurde zu einem wahren Luxusgut. Es entstanden wieder Salons, in denen sich Raucher bei einem guten Cognac trafen und sich gegenseitig in blaudünstige Träume pafften. An sich wäre es erträglich gewesen, doch die Einschränkungen gingen mit jedem Jahr einen Schritt weiter.

Bald wurden Sender entwickelt und jeder Raucher unter empfindlichen Strafandrohungen dazu gezwungen, sich ein solches Gerät modernster Mikrotechnologie unter die Haut pflanzen zu lassen. Daten über die Rauchgewohnheiten wurden an das Gesundheitsministerium und an die Krankenkassen übermittelt. Wer mehr als eine Schachtel am Tag konsumierte, verlor jedes Recht auf soziale Leistungen im Falle einer Erkrankung. Später wurde die Menge auf eine halbe Schachtel reduziert, dann durften es nur noch fünf pro Tag sein.

Hatte es zu Anfang übereifrige Nichtraucher gegeben, so nahm die Sache rasch militante Ausmaße an. Neben dem anfänglichen Schmähen eines Rauchers in der Öffentlichkeit, wurden wir nach und nach zu Gejagten. Irgendwann gab es die ersten Ausschreitungen, denn auch wir Verfechter des blauen Dunstes begannen damit, uns zu organisieren. Mit Hilfe der Tabakindustrie wurden wahre Geheimbünde gegründet. Man traf sich in abgesicherten Räumen, die das Signal der Implantate störten.

Da uns Nichtraucher zahlenmäßig überlegen waren, konnten wir nur in den Untergrund abwandern. In Lagerhallen trafen wir uns und schmiedeten Pläne, wie die Welt für Raucher wieder zurück zu erobern sei. Uns schlug der Hass einer nikotinfreien Gesellschaft entgegen.

Auf Regierungsebene war man dazu übergegangen, das Rauchen nicht nur als Gesundheitsgefahr anzusehen, sondern als regelrechtes Verbrechen. Gerüchte kamen in Umlauf, dass man Raucher einfach verschwinden ließ, dass man sie mit Zwang Entzugsprogrammen unterzog, die an Folter grenzten. Es wurde sogar von Morden gesprochen. Nun wurde die Angelegenheit heißer als das Feuerzeug, mit dem die begehrte Tabakstange angezündet wurde.

Etliche dieser Theorien gehören ins Reich der Phantasie. So gewiss das Gerücht um den Büroangestellten, der auf dem Firmenklo heimlich geraucht und dem die übrigen, nicht rauchenden Angestellten bei lebendigem Leib die Lunge aus dem Körper gerissen hatten. Oder das sechzehnjährige Mädchen, dem der Rektor der Schule ganz legitim eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte, nur weil er sie auf dem Pausenhof beim Rauchen erwischt hatte.

Wir gierten nach den Schreckensmeldungen, die oft genug von der Tabakindustrie an uns herangetragen wurden. Sie gaben uns einen Grund, nicht mehr länger im Verborgenen nach Lösungen zu suchen, sondern endlich einen aggressiven Vorstoß zu wagen.

Der lang ersehnte Tag unserer Befreiung rückte näher. Ein öffentlicher Protest sollte es allen beweisen, dass wir keine Lust mehr hatten, von Zigarettengegnern gejagt zu werden. Von Seiten der Industrie rüstete man uns mit den besten Tabakgütern aus. In jeder Hauptstadt sollten wir uns zusammenfinden und ein Zeichen setzen. Ein Zeichen, das niemand mehr übersehen konnte.

Ich selbst war in Berlin dabei. Millionen fanden sich ein, wir überschwemmten die Straßen der Stadt, so dass selbst die Ordnungshüter keine Möglichkeit mehr hatten, uns aufzuhalten. Vor dem Reichstagsgebäude rotteten sich die wütenden Raucher zusammen. Keine Gewalt sollte von uns ausgehen und so ließ man uns gewähren.

Mittag. Schlag zwölf. Jeder von uns steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an. Es war ein brütend heißer Sommertag, die Ozonwerte waren legendär. Genüsslich sogen wir das Gift in unsere Lungen und stießen blaugrauen Dunst aus.

Niemand von uns hatte mit dem Ergebnis unseres Aufruhrs gerechnet. Nach der dritten Zigarette hatte sich ein gigantischer Nebel gebildet. Es brannte in den Augen, ließ sie langsam zerfließen. Nichtraucher, die keine Immunität gegen die Stoffe hatten entwickeln können, brachen auf offener Straße zusammen, husteten schwarzes Blut. Doch auch wir waren dieser Menge nicht gewachsen. Viele starben als sich ihre Lungen so sehr ausgedehnt hatten, dass sie Brustkörbe sprengten. In den Tabak hatte die Industrie seit Jahren Substanzen gemischt, die jede Lunge zäh und beinahe fest gemacht hatten, ohne dass es einem von uns aufgefallen wäre. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen und noch heute weiß ich nicht, wie es zu einem solch schrecklichen Vorfall hatte kommen können.

Nie werde ich dieses grässliche Blutbad vergessen. Niemals. All die schreienden, keuchenden und sterbenden Menschen um mich herum. Verzerrte Gesichter, viele mit leeren Höhlen anstelle ihrer Augen, geöffnete Leiber.


Seither ist Berlin zu einer Geisterstadt geworden – so auch sämtliche anderen Hauptsädte, in denen der Raucherprotest stattgefunden hatte.

Heute weiß ich, dass wir einen Fehler begangen hatten. Mich selbst hatte die Aktion den Kehlkopf, einen Lungenflügel und ein Auge gekostet, ganz abgesehen von den Verätzungen, die meine Haut in eine gelbliche, ständig wässernde Hülle verwandelt hatten. Im Gefängniskrankenhaus für ehemalige Raucher störte das niemanden. Wir waren hier unter uns, aber Zigaretten gab es seit diesem Tag nicht mehr. Hin und wieder plagen mich noch einige Entzugserscheinungen, aber die waren nichts, verglichen mit dem Preis, den wir alle gezahlt hatten.

 
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