Ein reicher Mann sagte eines Tages zu seinem Diener: "Ich besitze so viele Dinge. Gold, Juwelen, Ländereien, Häuser ... Aber dennoch bin ich unzufrieden. Alles scheint mir nicht wertvoll genug zu sein für einen wie mich. Geh in die Stadt und verbreite die Kunde, dass derjenige, der mir das wertvollste Geschenk auf Erden macht all meinen anderen Reichtum erhält."
Der Diener machte sich auf und erzählte überall von dem Angebot seines Herrn.
Es dauerte nicht lange, da fanden sich viele Leute auf dem Anwesen des reichen Mannes ein. Sie karrten wertvolle Gegenstände heran, denn jeder von ihnen, selbst Könige, wollten das Hab und Gut dieses Mannes für sich haben. Denn selbst Könige verfügten nicht über sein Vermögen.
So empfing der reiche Mann einen jeden Besucher und begutachtete die ihm dargebotenen Geschenke.
Der König, der zwar recht spät gekommen war, aber sich natürlich von der langen Schlange nicht beeindrucken ließ und einfach nach vorne drängte, wurde zuerst empfangen. Bei ihm war eine junge, wunderschöne Frau, die ihren Blick senkte als sie dem reichen Mann gegenüber traten.
"Werter Herr", sprach der König, "ich gebe Euch die Hand meiner Tochter. Sie ist der wertvollste Schatz, den ich auf der Welt besitze. Nehmt an, denn nichts ist von höherem Wert."
Mit einem gnädigen Lächeln schüttelte der reiche Mann seinen Kopf und meinte: "Mein guter König, für Euch mag das ja zutreffen, aber mir bedeutet Eure Tochter gar nichts. Zudem steht mir der Sinn nicht nach einem Eheweib. Nehmt die Prinzessin wieder mit Euch und vermählt sie mit einem Prinzen, das würde ihr sicherlich besser gefallen."
Wütend und bitter enttäuscht verließ der König den Mann und machte sich wieder auf zu seinem Schloss.
Nun kam ein stolzer Ritter heran, dessen Knappe das Haupt des mächtigsten Drachen schleppte, den die Welt je gesehen hatte.
"Hier", polterte der Recke mit hoch erhobenem Kinn, "nehmt diese Trophäe und gebt zu, dass nichts wertvoller ist. Dieser Schädel ist einzigartig. Ich selbst erschlug das Ungetüm, das mehr als hundert Armeen verbrannte, mit eigenen Händen. Nichts ist wertvoller, glaubt es mir."
Wieder schüttelte der reiche Mann seinen Kopf.
"Für Euch mag das ja zutreffen, Herr Ritter, aber was sollte ich mit den Überresten eines Drachen anfangen? In meinem Haus hängen Trophäen von Kreaturen, von denen habt Ihr nicht einmal etwas gehört. Nehmt den Schädel wieder mit, er bedeutet mir gar nichts."
Schimpfend verließ der Ritter den reichen Mann und ging neuen Abenteuern entgegen.
Einer nach dem anderen machte dem reichen Mann seine Aufwartung und präsentierte das, was jeder für das wertvollste Geschenk hielt, aber jeder wurde wieder weggeschickt, denn nichts davon war wertvoll genug. Ob nie versiegende Goldminen, Juwelen von Jenseits des Meeres, auf die Erde gefallene Sterne, Geschöpfe aus dem Zauberwald oder andere unbezahlbare Wunderdinge – dem reichen Mann war nichts davon wertvoll genug. Entweder besaß er es bereits oder aber es bedeutete ihm einfach nichts.
Bald wurde der reiche Mann seinen Besuchern überdrüssig, die sich gegenseitig mit ihren Geschenken übertreffen und ihn zufrieden stellen wollten. Also befahl er seinem Diener, sie alle wegzuschicken, denn scheinbar konnte niemand dem Verlangen des reichen Mannes gerecht werden.
„Herr“, sprach ihn sein Diener leise an, nachdem das Grundstück des reichen Mannes wieder menschenleer war, „vor dem Tor steht noch ein Herumtreiber, der einfach nicht gehen möchte. Er sagt, er habe genau das, wonach es euch verlangt.“
Da brach der reiche Mann in schallendes Gelächter aus. „Was? Ein armer Landstreicher will mir das wertvollste Geschenk machen? Lass ihn zu mir, das möchte ich sehen, was mir dieser Mensch geben will.“
Der Diener tat, wie ihm geheißen.
Als der Landstreicher seinem Gastgeber gegenüberstand, stürzte er sich so geschwind auf den reichen Mann, dass niemand ihn hätte festhalten können und hielt diesem ein Messer an die Kehle.
Lächelnd sagte er zu dem reichen Mann: „Nun, Herr, hier ist mein Geschenk für Euch. Ich schenke Euch Euer Leben.“
Zähneknirchend musste der reiche Mann erkennen, dass das wertvollste Geschenk sich schon immer in seinem Besitz befunden hatte. Er hatte es nur nicht erkennen können.