Sven Späters Wortgrotte
 
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Die Schatten im Nebel (Horror)

Grau. Grau mit schwarzen Schatten. Mehr gab so ein Herbst nicht her. Kalte Nächte wechselten zu kühlen Tagen und die Morgendämmerung schien sich bis zum Abend auszudehnen. Aber schlimmer noch als die Kälte und das wenige Sonnenlicht empfand Tanja diesen immer wieder auftauchenden Nebel.

Alles versank in einem Meer aus feinsten Wassertropfen und jedes Ding verlor seine scharfen Konturen. Übrig blieben lediglich schemenhafte Umrisse, die meist nur erahnen ließen, was man da und dort vor sich hatte.

War er dicht genug, isolierte er einen von der gewohnten Umgebung und es war unmöglich zu erahnen, welche Gefahren wohl hinter der grau-weißen Wand lauern mochten. Wenn Tanja während eines solchen Wetters unterwegs, beschlich sie zuweilen das Gefühl, jenseits des Nebels hätte die Welt einfach aufgehört zu existieren. Selbst die eigenen Schritte auf kaltem Pflaster hatten einen anderen Klang. Dumpf, mit kurzem Widerhall. Insgesamt unnatürlich.

In solch einer nebelverhangenen Nacht verirrte sich Tanja in einer ihr unbekannten Gegend. Ländlich genug, dass die kleinen Ortschaften oftmals kilometerweit auseinander lagen. Dazwischen gab es nur Wald und Wiesenlandschaft, die jedoch hinter einem grauen Schleier verborgen blieb. Auch die Landstraße wurde einige Meter vor den Scheinwerfern vom Nebel verschluckt und blickte Tanja in den Rückspiegel, schloss sich hinter ihr immer wieder aufs Neue eine undurchdringliche Wand.

Nervös steuerte die junge Geschäftsfrau ihren hellgrauen BMW über viel zu enge Straßen mit unzähligen Schlaglöchern. Sie sehnte sich danach, wieder in Frankfurt im Stau zu stehen. Hier passte sie nicht hin, alles war so trostlos. Ihr fehlten die Lichter der Großstadt, die Möglichkeit, sich jederzeit gut orientieren zu können.

Ohne ihr Navigationsgerät, dass vor gut drei Stunden den Geist aufgegeben hatte, blieb ihr nichts anderes übrig als immer weiter zu fahren und zu hoffen, dass sie bald einen Wegweiser entdecken würde, der sie zur Autobahn führte. Sobald sie wieder eine Ortschaft erreichte, wollte Tanja am erstbesten Haus anhalten und sich nach dem Weg erkundigen. Wann aber ein weiteres Dorf kommen sollte, wusste sie nicht zu sagen. Das letzte hatte sie vor einer halben Stunde durchquert.

Verdammt, ich hätte anhalten sollen, schalt sie sich selbst in Gedanken.

Wenn sie nun wendete, konnte es viel zu leicht passieren, dass sie im Straßengraben landete. Man sah ja kaum die Hand vor Augen. Nein, dieses Wagnis wollte sie nicht eingehen. Lieber der Landstraße folgen und hoffen, dass sie bald ein Dörfchen oder ein einzelnes Gehöft erblicken würde.

Fand sie nicht rechtzeitig eine Gelegenheit, wieder den richtigen Weg einzuschlagen, würde der Termin am nächsten Tag platzen. Das wäre dann wohl ihre erste und letzte Handlung als Leiterin der Verkaufsabteilung gewesen. Sich in einer Männerdomäne zu behaupten war schon schwer genug. Fehler durfte sich Tanja nicht leisten und hier ging es um einen verdammt großen Deal.

War das etwa gerecht? Hatte sie das verdient? Nein, ganz sicher nicht. Sie hatte für diesen Job gekämpft, ihr bisheriges Leben über den Haufen geworfen und war zielstrebig an die Sache herangegangen. Viele Freunde hatten darunter leiden müssen, ihre Eltern, ihr Freund. Und nun fuhr sie orientierungslos durch eine Einöde aus grauem Nebel und wusste nicht, wohin diese Reise am Ende führen sollte.

Endlich entdeckte Tanja eine Abfahrt. Wo auch immer die hinführen mochte, es war ihre einzige Alternative. Die Landstraße wollte einfach kein Ende nehmen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, steuerte die junge Frau ihren Wagen auf den Feldweg. Nach etwa dreihundert Metern fragte sie sich, ob ihre Wahl nicht doch etwas voreilig gewesen ist. Wenden war unmöglich und die Strecke im Rückwärtsgang zurückzulegen musste Tanja ebenfalls ausschließen. Bei diesem dichten Nebel hatte sie keine Chance. Ihr blieb nichts weiter übrig als stur dem Feldweg zu folgen.

Ein plötzlicher Schlag ließ sie nach vorne schießen. Der Sicherheitsgurt schnürte ihr die Luft ab und ihr Fuß rutschte vom Gas. Nach einem kurzen Ruck gab der Motor keinen Laut mehr von sich.

Verdammt, verdammt, verdammt!“, schrie Tanja. „Das kann doch gar nicht wahr sein.“

Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Danach drehte sie vorsichtig den Zündschlüssel und war erleichtert als der BMW sofort wieder ansprang. Eine Freude, die nicht lange anhielt, denn obwohl Tanja das Gaspedal zuerst vorsichtig antippte, dann voll durchtrat, bewegte sich der Wagen keinen Zentimeter vorwärts.

Irritiert stellte sie den Motor wieder ab und öffnete die Tür. Der hohe Absatz ihres Schuhs versank ein wenig in der feuchten Erde. Zumindest war da keine tiefe Pfütze gewesen, dachte sie und musste bitter lächeln.

Im Licht der Scheinwerfer erkannte sie das Problem sofort. Der rechte Vorderreifen steckte in einem Schlagloch fest und wurde offensichtlich von irgendetwas blockiert.

Ganz toll. Genau das habe ich mir jetzt gewünscht. Nur gut, dass der Akku meines Handys seit heute früh leer ist.“

Der Zynismus in Tanjas Stimme verbesserte ihre Lage zwar nicht, doch half er ein wenig, die angestaute Wut abzulassen.

Um sie herum war nur der Nebel. Auf beiden Seiten des Wegs standen dichte Baumreihen und sie ging davon aus, dass auch dahinter mehr Bäume kommen mussten.

Vor ihr verlor sich die Straße in der grauen Suppe.

Seufzend ergab sie sich der Situation und beschloss, den Weg zu Fuß zu gehen. Aus dem Kofferraum holte Tanja eine Taschenlampe hervor und entdeckte den Beutel, den sie bei jedem Tennisplatzbesuch dabei hatte. Ihr wäre lieber gewesen, sie hätte in dem Beutel neben ihren Turnschuhen auch ein paar Hosen gefunden, aber so konnte sie zumindest ihre Pumps gegen für eine Wanderung besser geeignete Schuhe tauschen.

Jeder Schritt, der Tanja weiter von ihrem Wagen entfernte, führte sie tiefer in eine alptraumhafte Welt aus Dunkelheit und Nebelwänden. Nur spärlich erleuchtete das schwache Licht der Taschenlampe die Finsternis. Zwischen schwarzen Bäumen und von grauen Schleiern halb verdeckten Büschen glaubte die junge Frau immer wieder Dinge zu sehen. Unheimliche Dinge.

Jedes Rascheln ließ sie herumfahren und angestrengt in die Richtung starren, aus der das Geräusch gekommen war. Doch der kleine Lichtkegel zeigte nichts weiter als das Reflektieren der Wassertropfen.

Immer weiter marschierte Tanja. Sie fragte sich, wie lange sie nun unterwegs sein mochte. Ihr schien es eine Ewigkeit her zu sein seit sie sich von ihrem Auto entfernt hatte. Zweifel kamen auf, aber was sonst hätte sie tun können. Einfach bis zum Morgen zu warten wäre auf gar keinen Fall in Frage gekommen.

Irgend etwas in ihrem Innern riet zur Vorsicht. Jemand oder etwas beobachtete sie aus dem Dickicht heraus. Was es war, wusste sie natürlich nicht zu sagen, aber sie spürte, dass es da war. Irgendwo. Vielleicht hinter einem der schwarzen Baumstämme oder geduckt und von Buschwerk verborgen. Kein Tier, nein. Etwas anderes. Bedrohlich und doch vertraut.

Tanja fröstelte am ganzen Leib. Ihre Bewegungen wurden vorsichtiger, jeder Muskel war angespannt.

Da! Im Licht der Taschenlampe entdeckte sie einen Schatten zwischen den Bäumen. Sie kreischte und beleuchtete das Objekt. Kein Zweifel, dort stand ein Mensch neben einem krummen Stamm. Die Gestalt mochte etwa zwei Meter groß sein, schlank und bekleidet mit einem langen Mantel. An den Seiten hingen lange Arme herab, die in noch längeren Fingern endeten.

 

Hallo?“, wagte Tanja einen zaghaften Versuch mit dem Beobachter in Kontakt zu treten.

Nur keine Angst zeigen, dachte sie. Wenn er etwas Übles vorhat, würde es ihn nur ermuntern, mich anzugreifen.

 

Entschuldigen Sie? Hallo? Ich glaube, ich habe mich verlaufen. Vielleicht könnten Sie mir ...“

Ihre restlichen Worte blieben unausgesprochen, denn dort, wo der Schattenmann stand, hatte sich der Nebel ein wenig gelichtet. Jetzt erkannte Tanja, dass diese Person nicht allein war. Weitere Leute hatten sich versammelt. Sie alle standen dort ohne eine einzige Bewegung zu machen. Keiner von ihnen kam näher, doch sie gingen auch nicht fort.

 

Hallo?“, versuchte es Tanja weiter. Aus ihrer Furcht erwuchs ein Gefühl der Panik. „Bitte, so sagen Sie doch etwas. Sie machen mir Angst.“

Nichts. Keine Regung und kein Laut.

Sehr langsam schritt sie auf die Gestalten zu, schwenkte ihre Taschenlampe hin und her.

Als sie schließlich den ersten Schatten erreichte, gefror ihr das Blut in den Adern. Eindeutig handelte es sich um eine Person, aber auch aus direkter Näher sah sie nur diesen schwarzen Schemen. Sie erkannte weder Kleidung, noch das Gesicht.

Entgegen dem gesunden Menschenverstand streckte Tanja eine Hand aus und berührte die Erscheinung. Ihre Finger fuhren durch das Schwarz ohne auf Widerstand zu stoßen. Kleine Wölkchen lösten sich und schwebten durch den Nebel.

Nein, das war unmöglich, das konnte es nicht geben. Tanja wurde bleich. Ihr hysterisches Geschrei durchschnitt die Stille der Nacht und sie begann zu rennen. Mitten hinein in den Wald. Einigen Schattenwesen wich sie aus, durch andere rannte sie einfach hindurch. Niemand hielt die Frau auf oder griff nach ihr, aber sie konnte nicht länger die Anwesenheit dieser absurden Objekte ertragen.

Flüstern drang in ihren Kopf: Geh nicht. Bleib bei uns. Bleib hier.

Als sie die letzte Baumgruppe hinter sich gelassen hatte, erstreckte sich vor ihr eine Wiese, die sie mehr erahnte als sehen konnte. Ohne anzuhalten stürmte Tanja weiter, bis sie genügend Abstand zwischen sich und die eigenartigen Kreaturen gebracht hatte.

Schwer atmend blieb sie stehen. Wieder erklangen Stimmen in ihrem Kopf: Erinnere dich. Bleibe hier. Bleibe bei uns.

Ein Gefühl drohenden Unheils ließ die junge Frau sich umdrehen. Vor ihren Augen erhob sich eine riesenhafte Schattengestalt mit weit ausgebreiteten Schwingen. Ihr Schwarz schien noch undurchdringlicher zu sein als das der anderen Wesen. Tanja hörte die Stimme, die sich ihrer Gedanken bemächtigt hatte und ließ ihre Arme sinken.

Ja, sie erinnerte sich. Schwärze hüllte sie ein und sie fühlte sich im Nebel schweben. All die menschliche Last des festen Körpers löste sich auf, verband sich mit dem Grau. Sie erinnerte sich daran, dass sie hier ihr Zuhause hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie vor vielen Jahren in die Menschenwelt eingedrungen war. Nun kehrte Tanja dorthin zurück, wo sie in ihrer Unsterblichkeit mit dem Nebel kam und ging.


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