Sven Späters Wortgrotte
 
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Vom mutigen Feigling und dem ängstlichen Helden (Märchen)

Es begab sich zu einer Zeit, in der die Menschen noch an Wunder glaubten, da brach ein junger Held nebst Knappe auf, um das Land auf der Suche nach Abenteuern zu durchstreifen. Ob seiner Jugend fehlte ihm auf seiner ersten Reise natürlich die Erfahrung und so schickte er sich an, bei allen Leuten nachzufragen, ob es denn etwas zu erledigen gäbe, dass einem Helden gebühre. Denn nur mit Heldentaten wollte er sich befassen, nichts anderes kam in Frage. Wer in Gedichten und Legenden unsterblich werden möchte, der muss auch viele große Gefahren überwinden.

Als der Weg zu einem Wald führte, von dem es hieß, dort würden schreckliche Ungeheuer leben, begegneten sie einem Holzfäller. Dieser sah an Rüstung und Schwert sofort, dass es sich bei einem der Reisenden um einen Helden handelte. Rasch lief der Holzfäller zu ihnen und sagte: „Gott zum Gruße, Ihr Herren. Wie ich sehe, habe ich hier einen großen Ritter vor mir, der sicherlich die Güte haben wird, einem armen Holzfäller behilflich zu sein.“

Obschon es dem Helden lieber gewesen wäre, ein König hätte ihn um etwas gebeten, so meinte er doch: „Nun, dann erkläre mir, um was es sich handelt. Wenn es den Taten eines Helden gebührt, will ich nicht zögern.“

Der Holzfäller erzählte von einem besonderen Baum, einer Eiche. Sein Lehnsherr wolle ihn geschlagen haben, doch dieser Baum stand inmitten des düsteren Waldes und nie war einer zurückgekehrt, der versucht hatte, die Eiche zu fällen. Ungetüme würden dort hausen, jeden verschlingen, der sich in die Mitte des Waldes vorwagte. Erst wenn die Eiche nicht mehr stand, verschwanden mit ihr auch alle gefährlichen Wesen, denn nur durch ihre Zaubermacht konnten sie leben.

Ihr seht, wenn ich selbst gehe, werde ich getötet. Dann hat meine Frau keinen Mann mehr und den Kindern fehlt der Vater. Sie werden verhungern müssen. Ich bitte Euch, edler Herr, schlagt den Baum für mich, denn Ihr werdet die Bestien nicht fürchten.“

Einen Baum schlagen, dachte der Held. Ja, bin ich denn ein Holzfäller?

Dennoch berührte ihn das Los des armen Mannes und so gab er bekannt: „Nun, ich bin für eine solch niedere Arbeit nicht gedacht. Doch mein Knappe soll losziehen und für dich den Baum schlagen. Gib ihm nur deine Axt.“

Der Holzfäller tat, wie ihm geheißen. Widerwillig nahm der Knappe die Axt entgegen. Zu seinem Herrn gewandt sagte er: „Aber ich fürchte mich schrecklich vor den Ungeheuern. Wollt Ihr denn nicht mitkommen und mir zur Seite stehen?“

Nein“, sprach der Held. „Du wirst das schon machen. Außerdem hast du doch flinke Beine und eine Axt in der Hand. Das dürfte reichen. Jetzt geh und komme erst wieder, wenn die Eiche gefällt am Boden liegt und der Holzfäller sicher den Rest der Arbeit verrichten kann.“

Aber ich bin ungeübt im Kämpfen und mir zittern die Knie.“

Lachend schüttelte der Held den Kopf: „Du bist ein wahrer Feigling, mein guter Knappe. Und nun los.“

Schweren Herzens umklammerte der Knappe fest die Axt und betrat den Wald. Bei jedem Schritt, den er tat, spürte er Augen, die ihn beobachteten. Tiefer im Wald hörte er ständig etwas rascheln und schließlich kam er an einer Lichtung an, auf der die scheußlichste Eiche stand, die er je gesehen hatte. Ihr Holz war schwarz und mit stinkenden Pilzen bedeckt, ihre Blätter waren grau und runzelig. Langsam schlich der Knappe zur Eiche als ein grässliches Ungetüm durch das Buschwerk brach und sich auf ihn stürzte. Es war so schrecklich anzusehen, dass dem ängstlichen Knappen nichts anderes einfiel als die Axt auf den Boden zu werfen und die Beine in die Hand zu nehmen. Er rannte um die dicke Eiche herum, die Bestie folgte und schlug mit ihren Pranken nach ihm. Da der Knappe aber schnell und ausdauernd war, verfehlte ihn das Ungeheuer immer wieder. Statt dessen traf es den Stamm der Eiche und trieb tiefe Furchen ins Holz.

Wie oft er den Baum umrundete, wusste der Knappe nicht zu sagen, aber schon wurde der untere Teil des Stamms so dünn, dass die Eiche zu wanken begann. Schließlich fiel sie und begrub unter sich das Ungetüm. Sofort verwandelten sich Holz und Blätter und sahen nicht anders aus als bei allen anderen Eichen, die man in der Welt fand.

Ganz außer Atem, doch froh, noch am Leben zu sein, griff der Knappe die Axt und verließ den Wald. Als Beweis, dass die Eiche gefällt und die Gefahr gebannt war, nahm er einen Zweig des Baumes und einen riesigen Zahn der Bestie mit.

Bei seinem Herrn und dem Holzfäller wieder angekommen, zeigte ihnen der Knappe, was er aus dem Wald mitgebracht hatte und erzählte, wie er das Übel gebannt hatte. Der Holzfäller schlug ihm bewundernd auf die Schulter und bedankte sich, aber der Held hatte für seinen Knappen nur Spott übrig: „Ach, du bist wirklich der feigste Mensch, den ich mir vorstellen kann. Statt dem Untier mit der Axt im Kampf entgegen zu treten, gibst du Fersengeld und vertraust auf dein Glück, das dir auch tatsächlich hold gewesen. Nun, du bist eben kein Held.“

Weiter ging die Reise zu einem Dorf, in dem ihnen ein Bäcker begegnete, der aufgeregt vor das Pferd des Helden sprang. Gerade noch rechtzeitig konnte er sein Ross zum Anhalten bringen.

He“, rief der Held, „hast du denn keine Augen im Kopf? Beinahe wärst du unter den Hufen meines Pferdes gelandet.“

Dem Bäcker war dies überaus peinlich und er verbeugte sich oft und tief.

Verzeiht, edler Ritter, verzeiht einem armen Mann, der nicht mehr in der Lage ist, den Leuten Brot zu backen.“

Was soll das heißen?“, fragte der Held und wunderte sich. „Du bist doch Bäcker.“

Gewiss, ich bin Bäcker. Doch zum Backen braucht man Mehl und das befindet sich oben in der Mühle. Dort aber hausen seit kurzem grausame Geister. Selbst der Müller setzt keinen Fuß mehr in seine eigene Mühle. Wenn nicht bald einer diese Geister vertreibt, dann werden der Müller und ich arm werden und verhungern. Ach, Herr Ritter, möchtet Ihr mir nicht zwei Säcke Mehl aus der Mühle holen und vielleicht die Geister verjagen?“

Mehl aus der Mühle holen, dachte der Held. Ja, bin ich denn ein Bäcker?

Zu dem Bittsteller, dessen Sorge er gut verstehen konnte, meinte der Held: „Nun, diese Arbeit ist nichts für einen wahren Helden. Ritter tragen keine Mehlsäcke. Aber mein treuer Knappe mag zur Mühle gehen und sehen, was auszurichten ist. Gib ihm eine Bibel, denn mit Gottes Wort mag er sicherlich die Geister im Zaum halten.“

Der Bäcker tat, wie ihm geheißen und reichte dem Knappen seine Bibel. Mit zitternden Händen nahm der sie entgegen, schaute zu seinem Meister auf und sprach: „Aber ich fürchte mich schrecklich vor Geistern. Wollt Ihr nicht mitkommen und mir zur Seite stehen?“

Nein“, gab da der Held zurück. „Du machst das schon. Außerdem hast du doch eine Bibel bei dir und kannst lesen. Geh und komme erst zurück, wenn du die Mehlsäcke hast und die Geister niemanden mehr ein Leid zufügen können.“

Aber ich bin nicht gesegnet, so wie ein Held und mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter.“

Wie schon bei der Begegnung mit dem Holzfäller, so schüttelte auch dieses Mal der Held seinen Kopf und lachte laut: „Du bist ein solcher Feigling, mein guter Knappe, ein solcher Hasenfuß. Nun los.“

Gehorsam wanderte der Knappe den Hügel empor, auf dem die verfluchte Mühle stand. An seine Brust gepresst hielt er die Bibel und betete still und leise. So sehr fürchtete er sich vor den Geistern, dass ihm Wackersteine im Magen zu liegen schienen.

Ein gruseliges Bild bot die Mühle, denn um sie herum flogen Raben, die ihre Schreie in den düsteren Himmel ausstießen. Aus dem Inneren drang Heulen und Stöhnen an das Ohr des Knappen, den die Angst beinahe lähmte. Dennoch ging er weiter, denn er wollte seinen Herrn nicht enttäuschen. Als er die Tür öffnete und eintrat, erschienen ihm sofort zwei böse Geister, die ihn mit ihren hässlichen Fratzen erschreckten und mit ihren Knochenfingern nach dem Herzen griffen. Einen Schreckensschrei auf den Lippen warf der Knappe mit der Bibel nach den beiden Geistern, die beide auf einmal durchfuhr. Gleich darauf ließen sie ein Heulen erklingen, in dem Schmerz und Wut lagen. Sie verwandelten sich in einen weißen Nebel und verschwanden. Sofort wurde es wieder hell um die Mühle herum und die Raben flogen davon.

Erleichtert, nicht dem Grauen erlegen zu sein, suchte der Knappe nach einem Schubkarren, lud zwei Mehlsäcke darauf und ging zurück ins Dorf. Als Beweis, dass die Gefahr gebannt war, nahm er noch einen Fetzen des Totenhemds mit, das eins der Gespenster getragen hatte.

Bei dem Ritter und dem Bäcker angekommen, erzählte der Knappe, was dort oben vorgefallen war. Voller Freude drückte ihn der Bäcker an seine Brust und versprach, wann immer der Knappe im Dorf sei, dürfe er von den Backwaren so viele essen, wie er nur vertragen konnte. Vom Helden jedoch kam nur Gelächter und Spott: „Nein, was bist du feige. Statt die Geister mit Bibelsprüchen zu bannen, wirfst du ihnen einfach das Buch entgegen und hoffst auf dein Glück, das dir sogar noch hold gewesen. Aber sei es drum, du bist eben kein wahrer Held.“

Nun brachen sie auf zur Stadt, denn es wurde berichtet, dass dort der König in seinem Sommerschloss residieren würde. Na, wenn es da nicht bald eine Aufgabe für mich gibt, dann will ich nicht länger Held sein, dachte der Ritter.

Am Stadtrand trafen sie auf einen großen Mann, der die Schürze eines Schmieds und einen gewaltigen Hammer in der Hand trug. Er saß neben der Straße und schaute den Ritter voller Sorge an. „Herr Ritter“, sagte der Schmied, „darf ich so vermessen sein und Euch eine Bitte vortragen? Niemand sonst wird mir aus meiner Not helfen können.“

Der Held willigte ein und ließ sich vom Schmied erzählen, dass er kein Eisen mehr hätte. Durch das Fehlen von Eisenerz stehe die Schmelze still und in der Miene hause ein Drache, der jeden Erzschürfer bei lebendigem Leib verbrennen würde.

Solltet Ihr mir nicht helfen wollen, edler Held, so wird die Armee des Königs ohne Schwerter sein und auch Pferde kann ich keine mehr beschlagen. Ich werde nichts mehr verdienen und müsste als Bettler in den Gassen leben. Ich bitte Euch, erschlagt den Drachen und bringt mir einen Korb voller Erz für die Schmelze. Danach können die Träger diese Arbeit wieder aufnehmen.“

Erz schleppen, dachte der Held und schnaubte verächtlich. Ja, bin ich denn ein Schmied? Was brauche ich Erz?

An den Schmied gerichtet, dessen Problem den Ritter nicht kalt ließ, sprach er: „Diese Arbeit ist eines Helden nicht würdig, doch ich kann dich nicht dem Elend überlassen. Gib meinem Knappen deinen Hammer. Er wird zur Miene aufbrechen und das Problem lösen.“

Schweigend nahm der Knappe den Hammer. Wenn er seine Bedenken äußerte, würde ihn sein Herr nur wieder auslachen. Mit gesenktem Haupt machte er sich auf zur Miene und hörte den Helden lachen: „Nun sieh sich einer diesen Feigling an. Hat nicht einmal mehr den Mut, mir seine Angst zu beichten. Da geht er dahin und lässt den Kopf hängen, dieser Hasenfuß.“

Voller Furcht vor dem, was ihm bevorstand, schlurfte der Knappe zur Miene. Obschon der Hammer so schwer war, dass er ihn kaum heben konnte, hielt er ihn an die Brust gedrückt. Vor dem Mieneneingang lagen geschwärzte Knochen und aus dem Inneren kam ein bösartiges Fauchen. Das ist mein Ende, dachte der Knappe, schloss die Augen und trat einfach in das Dunkel der Höhle.

Nach drei Schritten stieß er gegen etwas. Er öffnete die Augen wieder und sah sich dem garstigsten Drachen gegenüber, den die Welt je gesehen hatte. Starr vor Angst ließ der Knappe den Hammer fallen. Gleich darauf hörte er den Drachen voller Schmerz aufschreien: „Au, verflixt! Du hast deinen Hammer auf meine Zehe fallen lassen. Kannst du denn nicht aufpassen.“

Da staunte der Knappe nicht schlecht. Statt ihn zu verbrennen, sprach der Drache mit ihm. Leider hatte er nicht den Mut, dem Untier zu antworten. So starrte er den Drachen nur an und wartete.

Sehr gesprächig bist du ja nicht gerade“, meinte der Drache. „Nun, da du schon hier bist und mir vermutlich nicht die Schuppen über die Ohren ziehen willst, kannst du mir auch helfen. Ich stecke fest. Nimm den Hammer und schlage gegen die oberen Steine. Sie werden sich lockern und ich kann mich befreien. Danach werde ich das Königreich verlassen.“

Auch wenn ihm das Ungeheuer versprochen hatte, ihm nichts zuleide zu tun, so war es dem Knappen doch nicht wohl bei dem Gedanken, weiter in der Miene zu verweilen. Seinen Herren wollte er nicht enttäuschen. Also nahm er den Hammer und lockerte damit die Steine über dem Rücken des Drachen. Dieser konnte sich endlich aus der engen Höhle befreien. Draußen erhob er sich in den Himmel und verschwand, ganz wie es versprochen war.

Auf dem Boden lag eine Drachenschuppe, die der Knappe als Beweis einsteckte. Zudem füllte er einen Korb mit Erz und brachte alles zum Stadttor. Jubelnd empfing ihn der Schmied und nachdem der Knappe berichtet hatte, was alles geschehen war, musste sich der Held den Bauch halten, so sehr fing er an zu lachen: „Jetzt hör sich das einer an. Da lässt er einem eingeklemmten Drachen den Hammer auf den Fuß fallen, befreit hernach das Ungetüm auch noch, statt die Situation zu nutzen und das Vieh zu töten und verlässt sich auf sein Glück, dass ihm auch noch hold gewesen. Aber sei es drum, zum Helden taugst du eben nicht.“

Sie nahmen sich ein Zimmer in der Stadt und der Held meldete sich beim König an. Nach fünf Tagen ließ man ihn und seinen Knappen in den Thronsaal. Dort stellte sich der Held vor und der König meinte: „Ah, von Euch habe ich schon gehört. Habt Ihr nicht die verzauberte Eiche gefällt?“

Nun“, gab der Ritter zur Antwort, „da ich kein Holzfäller bin und eine solch niedere Arbeit nicht ausrichte, habe ich meinen Knappen damit beauftragt. Er ist zwar feige, hat es aber mit Glück geschafft, den Wald wieder sicher zu machen.“

Und wart Ihr es dann, der die Geister in einer Mühle vertrieb?“, fragte der König weiter.

Wieder schüttelte der Held seinen Kopf: „Aber nein, das war ich nicht. Ich bin doch kein Müller und schleppe Mehlsäcke durch die Gegend. Mein ängstlicher Knappe hat das für mich erledigt.“

Dem König kam das wunderlich vor. Er wollte noch etwas erfahren: „Was ist mit dem Drachen in der Miene? Habt Ihr ihn verjagt?“

Ach, Eure Majestät, ich bin doch kein Schmied und kein Erzträger“, lachte der Held. „Mein Knappe, dieser Hasenfuß, hatte hier wieder nur Glück. Doch nun drängt es mich nach einer Aufgabe, die eines Helden gebührt, denn ich möchte um die Hand Eurer Tochter anhalten.“

Tut mir leid, Herr Ritter“, sprach da der König, „aber sie ist schon vergeben. Euer Knappe soll der Mann meiner Tochter werden, denn all die Heldentaten hat nur er allein vollbracht, während Ihr feige in Sicherheit auf seine Rückkehr gewartet habt. Ob er Glück hatte, ist mir gleich, aber es gehört wohl auch Verstand dazu. Er hat jede Aufgabe gelöst, ohne selbst zu kämpfen. Das nenne ich wirklich heldenhaft.“

So kam es, dass der Knappe die Tochter des Königs heiratete und als großer Held verehrt wurde, während der Ritter fortan das Leben eines Knappen führen musste.

 
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